Montag, 10. Juni 2013

ALTER EGO

Theìa; Befleckte Unschuld, Vers VII
...die Wollust steigt in mir,
...befluegelt tiefe Gier;
...geweckt in mir das Tier,
...und ich zerreiß` dich hier...
*
... wieder finden wir Marc im catlab zwischen den Spiegelwerken, umgeben vom Kreise der Steinernen Reime... auch Divi-Blasii wird wieder zur vollen Stunde laden...
Mehrere der reflektierenden Flaechen stehen in einem genau festgelegten Abstand und werfen einander die Bilder tausendfach in die Unendlichkeit...
*
Nach laengerem Zoegern hat sich Silva endlich zu einem gewagten Schritte entschlossen, er wuerde eine bestimmte Kombination von Steinen an sich selbst erproben....ein Eigenversuch.
Seine Ueberlegungen waren dahin gegangen, beim ersten Besuche Tarjas eine moeglichst perfekte
Anordnung aller noetigen Hilfmittel zu erzeugen, selbst unwahrscheinliche Fehler von Beginn an zu vermeiden und alles zum Scheitern Erdenkliche im Vorfeld zu eleminieren.
*
*
So wartet er denn geduldig auf das Zeichen im Nordturm am Untermarkt. Die Anzahl und die Abstaende zwischen den einzelnen Schlaegen der Glocke wuerden ihm den zu waehlenden Rhythmus fuer das Verlesen der notwendigen Reime taktvoll diktieren...
*
Langsam rueckt der große Zeiger seiner extra angefertigten Uhr weiter. Gebannt beobachtet Silva das Ziffernblatt, geht im Geiste den Weg jedes der folgenden Schritte.


...tic..tic..
Fast traege kriecht der Sekundenzeiger die halbrunde Scala in Richtung der Zwoelf hinauf...
...tic...tic...
Es scheint, als wuerde er nur mit Anstrengung seinen doch unaufhaltsamen Weg fortsetzen, wie Fliegen auf einem Leimband, sich bis zuletzt gegen den unaufhaltsamen Gang aller irdischen Dinge straeubend...
….tic... tic...
Und waehrend der Zeiger auf seinem Wege die X begrueßt, kann man fast wittern, wie sich im Turme ein Motor in Gang setzt, auf die Sekunde genau von elektronischen Befehlen ueber die fuer menschliche Verhaeltnisse mikrobenfeinen Schaltkreise gesteuert, das große Speichen-Schwung-Rad des Glockenwerkes in Drehung bringt, und den gewaltigen Bronzeguß unterm Eichenjoch in Pendelbewegungen versetzt.
….tic..tic....
*

*
Einen Wimperschlag lang am Platz auf der XI verharrend, hat der Zeiger jenen verlassen und strebt der Vertikale entgegen. Die Glocke schwingt mit ausladenderen Bewegungen, der Kloeppel kommt dem Laeutewinkel naeher und nah.
...tic....tic...

Und es scheint, als haelt das schlafende Muehlhausen allen Atem an, fuer einen Augenblick steht die Zeit, alle Traeume stocken....
…tic..tirrrrGONNNNNNNG.. Marc Silva beginnt zu lesen:
''NOLI TURBARE...''... unmerkliches Zittern....
…............. GONNNNNNNG
''CIRCULOS MEOS...'' ...leichter Schwindel....
…............. GONNNNNNNG
''POENA FUIT VITA...'' ..leuchtende Funken vor Augen...
…............. GONNNNNNNG
''REQUIES....'' ...ein hintergruendiges Rauschen huellt Marc ein...
…............. GONNNNNNNG
''MIHI MORTE...'' ...sein Herz beginnt zu rasen, Pfoetchenstellung der Haende...
…............. GONNNNNNNG
''PARATA EST...'' ...die Augen tieflodernd, Aggression verspruehend...
…............. GONNNNNNG
''ATQUI....'' … alle Muskeln spannen sich und vibrieren....
…............. GONNNNNG
''MEA REGINA...'' …zu Boden stuerzend; -kaum noch finden die Silben ihren Weg....
…............. GONNNNG
''VI .. VE..RE...'' …sich windend auf dem Boden inmitten der Steine...
…............. GONNNG
''MILITA....hhhhHHHRRRRRCCHHHRRRRR!!!!''
..sprungbereit...tiefatmend, aufbaeumend....
….gonnng...
…..ATMEN!..ATMEN!....LUFT!...
ATMEN..a....aaahhh....aaatmen.... ooohhhhh jaaaa.....huii...
das ging gerade noch gut....
….gong …

*
* *
Marc blickt sich um - die Spiegel unveraendert. Divi- Blasii hat ihr Zaehlwerk beendet.
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* *
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Zwei Kerzen sind zu Boden gefallen, und... nein, in einer der Maerchenkisten ist das Glas gesprungen. War er das? Nun, ein unbedeutender Schaden, er wird ihn
spaeter ersetzen.
Innerlich auf das Hoechste aufgewuehlt, im Versuche, seine Gedanken zu ordnen und das eben Geschehene zu verarbeiten, wischt er sich mit der Hand uebers Gesicht, und, oh, das duerfte Blut sein, hoffentlich sein eigenes....ja, eine schoene Ruptur, nicht sonderlich tief, aber recht eigenwillig geformt... und bestimmt nicht zufaellig an dieser Stelle.
Er wird sich spaeter intensiver damit beschaeftigen, im Vordergrunde stehen jetzt die Erfahrungen und deren Konservierung, Erinnerung an das eben Erlebte, sein Spiegelbild, so vertraut und doch neu und gaenzlich anders beseelt, aber dennoch sein Ebenbild...im eigenen Banner, dem Feldzeichen maßloser Aggression...
ein Hexenkessel widerstreitender Emotionen, uebertriebener Wut und heftigen Ausbruechen selbstloser Hingabe... und die Spiegel unveraendert...oder, nein, das kann nicht....
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… ja, die alten Schriften haben Wort gehalten....
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