Miátha Lopakka; aus Ode XII, Vers II
...nicht Aug' allein bereit zur Sicht,
...auch Herz kann schenken, helles Licht;
...sei weise, klug, laß es gescheh'n,
...Herz zeigt den Weg, du wirst es seh'n...
Muehlhausen im Oktober 2012.
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Die Rosen verstroemten einen tiefen, fast betaeubenden Duft.
Gedankenversunken blickte Marc hinweg ueber das Meer aus Blueten in allen erdenklichen Farben. Im Hintergrunde sah er ein paar nette Blumendamen eifrig beschaeftigt, florale Dekorationen herzurichten und die aktuellen Neuigkeiten der letzten Tage auszutauschen. Marc Silva besuchte nicht zum ersten Male dieses fuer eine Kleinstadt ueberdimensionierte Geschaeft, hatte er hier doch des Oefteren schon die richtigen Kleinigkeiten fuer seine Werkstuecke gefunden.
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Durch die Gaenge schlendernd ging ihm die letzte Nacht nicht aus dem Kopfe.
...ch`Jar-Taé...
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Selbst jetzt, am naechsten Morgen war ihm das Ganze unfaßbar, obwohl er im Grunde ja gewußt hatte, was auf ihn zukommen wuerde, zumindest, wenn er die alten Schriften in der korrekten Art uebersetzt hatte. Nein, vielmehr arbeitete er ja seit laengerer Zeit genau auf diese Situation hin, er war wohl eher ueberrascht ueber das so ploetzlich eintretende Ergebnis. Eine heiße Welle aus Stolz wallte in ihm nach oben – er, Marc Silva – hatte es geschafft. Der erste Schritt war erfolgreich gewesen.
Und seinen Entzifferungen zufolge konnte die naechste Stufe nicht lange auf sich warten lassen.
…ch`Jar-Taé wuerde sich offenbaren, in diesem Leben offenbaren, vielleicht nicht sofort im Fleische - im Lebendigen, aber doch nicht mehr nur innerhalb der Reichweite des Scheines der weißen Steine, der von ihm eigens dazu angefertigten steinernen Reime. Irgendwann jetzt sollte es geschehen, so lautete es zumindest in den alten Schriften.
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Sich vor einem Regal voll von wunderschoenen großbluetigen Blumen tieferbeugend, konnte er durch die Luecken zwischen den kleinen Pflanzenkoerbchen sehen, und das Bild, welches sich ihm bot, stimmte ihn froehlich.
Die oberste der Blumendamen raeumte ihm gegenueber kleine rosenfoermige Schalen ein, er erkannte sie an ihrem aeußerst knappen Roeckchen und den wohlgeformten Beinen, wie immer besohlt mit auffaelligem Stiefelwerk.
In der Vergangenheit hatte er des Oefteren einen eher fluechtigen Blick auf den Minirock geworfen, doch hatte er seine Gedanken nie ohne Zuegel dahineilen lassen.
Heute jedoch war er in einer Stimmung....
Nein, hier in diesem Regale war heute nicht das Richtige zu finden. Doch das tat seiner Laune am heutigen Tage keinerlei Abbruch. Sah er sich einfach an anderer Stelle um.
Voller Tatendrang erhob er sich und … NEIN... Marc erstarrte... Sein Herz schien zu stocken.
Er konnte kaum unterscheiden zwischen der scheinbaren Hitze oder fuehlbaren Kaelte, welche ihn durchrieselte.
NEIN und wieder Nein, das konnte nicht sein ...ch`Jar-Taé...! Was geschah hier nur. Marc erschauerte, versuchte erste vernuenftige Gedanken zu fassen, sich zu sammeln. SIE war es, unverkennbar, doch nein, vor ihm stand Minirock Tarja, die Obere der Blumendamen.
Es war einfach unglaublich, derart irreal, doch nein, es war einfach Tarja, die freundliche Blumendame mit einer Vorliebe fuer ueberdimensioniertes Schuhwerk und knapp bemessene Kleidung.
Langsam faßte sich Marc Silva, versuchte seine normale Art, rational zu denken, im vollen Umfange durchzusetzen.
In scheinbarer Ruhe blickte er auf, Tarja voll ins Gesicht. Zum ersten Male schaute er sie mit einem nie dagewesenen Interesse an, hatte sich doch bis heute sein Ansinnen im Anblicke des Minirockes erschoepft.
Unverkennbar: diese markanten Konturen, Augenbrauen, Art der Glabella, dieser Schwung der Palpebrae, Form der Lippen....ja, diese Zuege hatte er letzte Nacht gesehen, nur in einer Gestalt aus verschiedenem Licht, aus Funkeln und Leuchten. Doch hier stand jemand, jemand aus Fleisch, und ganz sicher einem Fleische entsprungen und bestimmt auch in der Lage welches zu geben.
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Blumendame Tarja blickte ihm unverwandt ins Gesicht, schien etwas amuesiert, mußte sogar im Ansatze ein leichtes Schmunzeln verbergen. Diese Reaktion von Maennern jeglichen Alters waren ihr nicht unbekannt, im Gegenteil, oft forderte sie diese heimlich heraus, ihre Kleiderwahl entsprang in der Regel nicht dem Zufalle. Sie konnte sich himmlisch weiden in jener Art der Blicke, welche scheinbar verschieden doch im Grunde immer das Gleiche bedeuteten. Manchmal wurden ihr gar Nummern von Fernsprechapparaten oder Einladungen zugesteckt, teilweise auch nette Dinge gesagt, manche plump, einige wenige charmant oder gar liebevoll. Doch in all den Jahren war sie niemals den notwendigen Schritt gegangen, jenen Schritt von unwahrscheinlicher Tragweite, kaum im Vorfelde einzuschaetzen mit all seinen Konsequenzen fuer die Zukunft...
...war da im Hintergrunde doch noch immer ALDAR, das personifizierte Schwert des Damokles; Aldar, welcher ihr Leben bis in die letzten Fasern kontrollierte, mit eiserner Faust bestimmte und mit staehlernem Herzen beherrschte, und ganz sicher nicht von den geheimen Gedanken wissen durfte, Gedanken, welche sie vor vielen Jahren in ihrer einsamen Brust verschlossen hatte und dort bis zum Gange in die naechste Welt zu verbergen gedachte.
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Und nun stand da dieser andere Mann, starrte sie an, unverwandt den Blick in sie bohrend. Doch merkwuerdig, sie empfand es nicht als unangenehm, im Gegenteil, es war ein offener und ehrlicher, auf keinen Fall aber abschaetziger Blick, und er schien zu sagen...
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Marc Silva hatte sich gefaßt. Vor ihm stand Blumendame Minirock, denn daß es sich bei ihr um Tarja handelte, sollte er erst spaeter in Erfahrung bringen, ausgerechnet durch sie selbst.
Eindeutig war, daß sie das Aussehen der naechtlichen Besucherin hatte, selbst der Blick schien zu aehlichem Ausdrucke faehig zu sein. Er mußte sie kennenlernen, ihr von seinen Aktivitaeten berichten, seine Gedanken darlegen. Vielleicht wuerde sie sogar verstehen, daß ihr beiderlei Schicksal enger miteinander verknuepft war, als ihr im Momente ueberhaupt bewußt sein konnte, doch wuerde dieses Unterfangen eines groeßeren Aufwandes beduerfen, um sich erfolgversprechend zu entwickeln.
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Er beschloß, sich gut vorzubereiten, seine schriftlichen Quellen zu Rate zu ziehen und vielleicht gar eine Uebersetzung durch den NUCLEUS VIAE SIGNORUM anzustrengen. Rasch verabschiedete er sich vom Miniroeckchen, nachdem er seine Fassung soweit wiedergewonnen hatte, daß er gesprochene Worte von sich geben konnte.
… Blumendame Tarja blickte ihm geistesversunken nach....
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