Mittwoch, 3. Juli 2013

GEBROCHENE KETTEN


Torsten Kriese; aus ''Cajèz Nom-Nari'', Vers III
...und im Angesicht, ich spuerte es schon,
...in diesem Moment dann, ich sah das Licht,
...mein ganzer Schmerz,
...ich fuehlte ihn nicht.



DANN WAR SIE DA.

Ja, sie war gekommen, war seinem Rufe gefolgt, oder besser- einem Gesange hoerig, welcher mehr war als alles, was Marc selbst zu erzeugen im Stande war.
Und so standen sie nun, an den Stufen des catlab einander anblickend, wortlos, ihre Blicke ineinander vertiefend.
Kein Gestern, keine Fragen mehr, kein Morgen...
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Und es geschah, was Tarja weder in diesem Leben- noch spaeter auf der Reise im Drachenboot- fuer moeglich gehalten haette... ...einem inneren Impulse folgend fand man sie einen Moment spaeter in inniger Umarmung, sich haltend und im Geiste die Anzahl und Beweglichkeit von Insektengliedmaßen wuenschend.
Es war sicher keine Begebenheit im Weltmaßstab, den Lauf der Dinge und der Sterne manipulierend, genauso wenig uebergeordnetes Kismet aendernd, dennoch fuer Tarja und Marc alles, absolut alles bedeutend...
geborstene Glieder...zerissene Kette...
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Sie standen stumm, scheinbar stumm, wortlose Signale wechselnd...einander so unwiderstehlich zugetan, sich gegenseitig emporschwingend und mit positiver Macht mitreißend, sich einverleibend...tief und rein empfundene Dankbarkeit erlebend, und vor Vitalitaet strotzend sich unverhohlener Freude und Zuneigung hingebend....
Er nahm ihre Witterung, spuerte sie mehr durch ihren Duft als durch die Beruehrungen, welche das ganze emotionale Spektrum von 'sanft und zaertlich' bis zu 'fordernd und draengend' zeichneten.
Wieder und wieder blickte er sie an, so tief, so intensiv, mit jenem ihm eigenen und ihn definierenden Blick so derart voller Wollust, als wuerde sich fuer ihn die gesamte Spanne dieses Lebens dahinziehen in einem einzigen Paarungsakte.
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IM BANNE DES ACANTIQUE...
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Schueler und Lehrer, vereint im Banne...
Stunde um Stunde waren sie im Folgenden zusammen, tauschten sich aus, drangen tiefer ein. Die alten Schriften waren so fesselnd, es gab neues, soviel zu entdecken... zu erklaeren....
im Spiel amuesanter Zweideutigkeiten, wenn Worte- unausgesprochen- ihre Wirkung vervielfachen koennen, in der Grauzone zwischen freudigem Ernst und herausfordernden Neckereien fanden sie doch immer die noetige Zeit, um sich gutes zu tun...
Und eigenartig, es schien, als kannten sie sich wirklich, es war mehr als außergewoehnliche Sympathie, sie waren einander vertraut, als waere sich jeder von beiden schon sein ganzes Leben der moeglichen Existenz des Anderen bewußt gewesen, und zur realen Zusammenkunft waren am Ende nur mathematische Gefaelligkeiten des Schicksals noetig...Waren sie zusammen, schien es, als wuerde die Welt rundum leiser, das Licht weniger hell, die Zeit, dahingleitend auf ihrem Strahle eine andere Geschwindigkeit annehmen.
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Doch welch eigener Typ Mann...dieser Marc Silva, mit soviel Gefuehl, Liebe zum kuenstlerischen Detail, uebervoll unerwarteter, nicht fuer existent gehaltener Emotionen, ein kaum beschreibbarer Kontrast zum duesteren, kalt rechnenden Aldar, jemand, dem die Symbole des Geldes schon mit Muttermilch in der Wiege nahegelegt worden waren, und dessen hoechstes und einziges wirkliches Ziel das Anhaeufen eines gigantischen Berges jenes scheinbaren irdischen Reichtumes in diesem Leben werden sollte, und alle Randerscheinungen, welche auf heherere Beweggruende haetten schließen lassen, waren in ihrer Ursache nur Mittel zum Zwecke zur Erreichung dieses einen schlecht versteckten Hintergrundes ...groeßer haetten die Unterschiede zwischen diesen beiden Kontrahenten, Antagonisten in einem weitaus groeßeren Spiel mit bisher nicht ueberschaubaren Dimensionen, kaum in den entgegengesetzten Richtungen ausschlagen koennen- und dennoch beides Alphatiere bis ins Blut, hin bis in die kleinsten iherer Zellen nicht zum Dienen geschaffen...und gerade das machte das Ganze ja so faszinierend und beaengstigend zugleich...diese Kombination von Seelen zeichneten das Bild von Gegenpolen im urspruenglichsten Sinne der Definition.
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Aufzeichnungen ueber den Lauf der Gestirne hinzuziehend fuehrte Marc spaeter mit engelsgleicher Geduld seine Erlaeuterungen aus, deutete die Hintergruende der Spiegelraetsel an, verwies auf die Notwendigkeit des Nucleus Viae Signorum sowie der Maerchen aus der ersten Tria- Geschichte.
Und all das geschah in dem Wissen, welch wichtige Rolle Tarja bei der Erweckung der Muse spielen wuerde.
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Tarja lernte.
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Wenn es ihr der Lauf der Zeit gestattete, schluefte sie, so leise es das spezielle Schuhwerk zulassen mochte, gar haeufig wie nur irgend moeglich durch die Eingangspforte ins catlab, war bei ihm...
In Gedanken sagte sie des Oefteren zu ihren imanginaeren Zuhoerern, daß die Dinge um sie herum wohl ungefaehr das Aufregenste waren, was sie in der letzten Zeit so erlebt habe. Doch es war nicht nur Spaß, nein, auch sie war sich in Teilen schon der großen Bedeutung bewußt, vor allem, welche hohe Wichtigkeit ihre Rolle in den zu erwartenden Vorgaengen spielen wuerde. Also hing sie foermlich an seinen Lippen, ließ ihn nur aus der Notwendigkeit ueberhaupt zu Worten kommen. …doch zugegeben, das, was er sagte, hatte es wirklich in sich. ...nein, und wie er es tat... ja, das war mehr als ueberdurchschnittlicher Charme... und seine Augen...was war es nur, warum wirkten die so intensiv?....Wenn er die Hinzunahme eines der Spiegelwerke zu seinen Erklaerungen fuer noetig befand, veraenderten sich diese Augen derart außergewoehnlich, nahmen noch zu an Glanz- von verborgener Energie belebt, bekamen einen hingebungsvollen, fast liebenden Ausdruck, so kraftvoll, wie es gegenueber anderen Menschen wahrscheinlich nicht haette moeglich sein sollen.
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... dann lagen sie sich von Neuem in den Armen.....tiefe Vertrautheit... kein Gestern und Morgen...
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Nun, und Tarjas Ketten...?

Vom finsteren Aldar festgeschmiedet und doch im Verborgenen morsch hatten sie nur dem geharrt, was denn auch geschehen sollte und mußte... Entzwei fuer alle Zeit in ihren Gliedern nunmehr noch bruchstueckhaft ihre Seele bedeckend, lose Teile von ihr fallend, schwebend dem Nichts entgegen fuehlte sie sich frei, freier und leichter, zugleich einen stetigen Kampf ausfechtend mit den scheinbaren Werten Tradition und Moral...
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Ja, Aldar hatte sein Netz engmaschig geknuepft, doch auch der sorgsamste Waechter wird fehlen, und in diesem Falle war das auf der Schulter vergessene Lindenblatt Aldars fundamentale Ablehnung gegen Tarjas eigene Freunde, fuer welche in seinen dunklen Kreisen kein Platz sein konnte, hatten jene ANDEREN doch eigene Gedanken, ließen sich nicht kontrollieren und durchschauten die schweren Ketten und das grausame Netz auf ihrer gefangenen Seele.
Und so hatte er JENE ANDEREN mit dem letzten Rest von Wuerde und Maennlichkeit verbannt aus seinem dunklen Sichtfelde, hatte den ernsthaften Versuch angestrengt, sie aus ihrem Leben, aus der angestammten Gleichung eines gemeinsamen Daseins zu entfernen.
Doch diese Art der Kontrolle und auferlegten Kontaktsperre, im Grunde kaum zumutbar, gerade bei so extremem Charakter wie Blumendame Tarja, hatte neben allem zwangslaeufigen Ungemach den positiven Effekt, daß das Umfeld, gemeinsame Zeit sowie jegliche Konversation im Zusammenhange mit Jenen Anderen eine blinde Zone darstellte, nicht beherrschbar, so duester und schwer die dunklen Kreise ihre Macht auch verstroemen mochten. Und genau in diesem nicht sichtbaren Territorium aus unerlaubtem Kontakt zu Tarjas eigener Welt fand sie selbst unter schlecht verborgener Angst in der im Grunde verbotenen Zone ihr Versteck, einen Ort der Phantasie, noetig zum Loesen der Ketten und Oeffnen des ach so schweren Maschenwerkes.
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Tiefe Ironie des ganzen Spieles wurden JENE ANDERE, aus ihrem Kreise verbannt, schlußendlich doch genau deshalb zu scheinbar passiven Schirmherren und aktiven Helfenden bei den ersten Schritten auf dem Weg des Acantique...allein durch das Schicksal ihrer Verbannung befaehigt zum stummen Vernebeln von Tarjas Besuchen im catlab in der folgenden Zeit...
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FELIS IN CONVENTO LAPIDEO VENEFICAE DIABOLI